Sonntag, 31. August 2014

Eine neue Geschichte


Ich hatte lange Angst vor diesem Schritt, Verantwortung für mich und mein Leben zu übernehmen. Es ist beängstigend, verstörend, wenn der Körper eine Veränderung durchläuft, für die der Geist noch nicht bereit ist. Als ich Kind war, war alles gut. Zumindest will ich es mir so einreden. Doch langsam beginnt dieses Bild zu zerfallen.
Die Streitereien der Eltern, die Hänseleien und das Mobbing in der Schule, immer wieder Freunde zu verlieren, weil man nicht gut genug angepasst und nicht ‚normal’ genug ist. All das ist auch meine Kindheit. Und an diesen Punkt, diesen Punkt der Hilflosigkeit, der Enttäuschung, der Selbstzweifel, an diesen Punkt will ich nie wieder gelangen. Ich will abschließen mit diesem Kapitel des Schmerzes, der Zeit der Dunkelheit.

Ich habe mich oft gefragt, weshalb ich nicht selten wie ein Kind behandelt werde. Weshalb man mir nichts zutraut, diesem verschüchterten, kleinen Ding. Der Grund ist einfach wie banal: ich sehe aus wie ein Kind. Ein dünnes, durchscheinendes Etwas, das sich am liebsten in der Ecke zusammenkauern würde, aus Angst, von jemandem beachtet und wahrgenommen zu werden. Gleichzeitig sehne ich mich mehr denn je nach eben jener Beachtung, bin verletzt, wenn man mich übersieht, und kauere mich aus Frustration und Verzweiflung darüber in der Ecke zusammen. Doch bin ich schon lang nicht mehr dieses Kind. Ich habe viel gesehen und erlebt, möglicherweise zu viel, habe mich immer wieder nach diesem Kindsein zurückgesehnt, diese Zeit, in der man keine Verantwortung für sein Leben übernehmen muss, in der andere, die ‚großen’ Erwachsenen alle Angelegenheiten für einen regeln, in denen man nur still und brav dazusitzen hat und artig seine Hausaufgaben macht.
Doch um in diese Zeit zurückzukehren, musste ich das Bühnenbild und die Darsteller anpassen, musste die Uhrzeiger auf die Position drehen, bei der ich wieder von null anfangen und mein Leben neu beginnen könnte. In dieser Idee, dieser Ideologie, gibt es einen entscheidenden Fehler: die Zeit lässt sich nicht manipulieren. Die Tage, Monate, Jahre, die ich darauf verwendete, in die Vergangenheit zu reisen und alles zu ändern, liefen in der Realität weiter. In meinem Kopf war ich wieder Kind, oder befand mich auf bestem Weg dahin, während sich mein Äußeres und mein Leben der Zukunft entgegenwendete. Doch nicht mein gesamtes Äußeres – ich hielt meinen Körper soweit unter Kontrolle, dass er sich nicht signifikant weiterentwickelte. Es gab etwas, das ich kontrollieren konnte, während mir alles andere zu entgleiten drohte, und ich griff in meiner Verzweiflung danach. Jedoch ist das Problem an der ganzen Sache, dass man sich nicht fortläufig zurückentwickeln kann. Denn der Punkt, an dem man noch einmal von vorn beginnen kann, der existiert nicht. Nicht in diesem Leben. Und das ist es, was ich will: ich will leben! Ich will nicht dieses Scheinleben aufrecht erhalten müssen, dieses große Theaterstück, das ich bis zur letzten Zeile einstudiert und perfektioniert habe. Doch um den Vorhang entgültig zu schließen, um einem neuen Stück Platz zu machen, muss ein entscheidender Schritt getan werden: ich muss Verantwortung für mich selbst übernehmen, ich muss zu meinem Selbst stehen, von dem ich bisher wenn überhaupt nur einen Bruchteil gesehen habe, nur um ihn gleich wieder sorgfältig in der hintersten Schublade zu verstecken.
So schwer und beängstigend dieser Schritt im ersten Moment aussieht und so gern ich ihm, wie so oft, aus dem Weg gehen würde, er muss getan werden. Nein, ich, ich selbst muss ihn tun. Das kann niemand für mich tun. Viele Menschen können mir dabei helfen, und ich schätze mich mehr als glücklich, eben solche Menschen zu meinen Freunden zu zählen, doch den eigentlichen Schritt an sich muss ich selbst wagen.

Darum schließe ich nun ab mit diesem Kapitel. Ich blättere die letzte Seite um, nehme das Lesezeichen heraus, schließe das Buch und stelle es zu den anderen, welche die Geschichte meines Lebens erzählen.
Nun ist Zeit für eine neue Geschichte, eine Geschichte des Glücks, der Hoffnung, und vor allem: eine Geschichte der Zukunft.




Sonntag, 24. August 2014

Es ist Zeit zu kämpfen

Ich bin eine Kämpferin. War ich schon immer. Oft gab es in meinem Leben Menschen und Situationen, die mich fertig gemacht haben. Die auch weiter auf mich eingeprügelt und mich ausgelacht haben, als ich schon auf dem Boden lag. Doch jedes Mal bin ich wieder aufgestanden und haben ihnen allein mit diesem Akt des Widerstands ins Gesicht gespuckt. Ich weiß zwar nicht, ob sie das so wahrgenommen haben, doch mir gab es immer wieder ein Gefühl von Stärke, von Selbstsicherheit, ich hatte mich gewehrt, auch wenn das vielleicht nur für mich ersichtlich war.
Doch manchmal heißt kämpfen nicht, sich gegen etwas zu wehren, sondern für eine Sache einzustehen, sich für etwas stark zu machen, weiterkommen zu wollen. An diesem Punkt stehe ich heute. Wobei man auch immer die Frage bedenken muss, ob es sich wirklich lohnt, für etwas zu kämpfen. Wird das, was am Ende dabei herauskommt, wirklich das sein, was man erwartet hat? Nun, das wird sich zeigen, das kann man nie im Voraus wissen. Außer man kann in die Zukunft sehen, und ich wage zu behaupten dass diese Gabe recht selten ist - ich für meinen Teil besitze sie nicht, weshalb ich darauf vertrauen muss, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Und sollte ich es nicht sein, dass ich es früh genug erkenne und einen anderen finde. Den gleichen Weg zurückzugehen, den ich gekommen bin, ich weigere mich, dies zu tun. Es mag ignorant und überheblich klingen, doch suche ich mir lieber neue, unbegangene Wege querfeldein, als die ausgetretenen Pfade in die Vergangenheit zu wählen. Dass dabei vieles unentdeckt bleibt - oft erkennt man Dinge erst auf den zweiten Blick, nachdem man schon einmal daran vorbeigelaufen ist - das ist mir bewusst. Auch gibt es Dinge, die lassen einem keine Ruhe, suchen einen heim des nachts, halten einen in ihrer Umklammerung, bis man den Mut und die Kraft findet, die alten Geister zur Ruhe zu schicken.
Ich habe viele solcher Geister, und einige davon begleiten mich immer noch, Tag für Tag. Sie flüstern mir Dinge ein, die ich nicht hören will, sähen Angst und Zweifel in mir, ziehen mich in Tiefen, aus denen ich aus eigener Kraft nicht mehr aufsteigen kann. Dabei stellen sie sich so geschickt an, dass man gar nicht merkt, wie tief man schon in ihre Lehren eingetaucht ist, und erst viel zu spät erkennt, dass man nicht mehr genug Luft hat, um wieder die Oberfläche zu erreichen. Versuche ich, sie zur Ruhe zu schicken, so verfallen sie oft nur in einen kurzen Schlummer, nur um kurz darauf nur noch stärker wieder zu erwachen, während ich noch meine Wunden lecke.
Doch wie ich schon sagte, ich bin eine Kämpferin. Ich haben meine Waffen gewählt. Es sind zwei an der Zahl: die erste, ist das Wort. Denn jedes Wort, dass ich über meine Geister schreibe, spreche, jede Verbalisierung ihrer Schrecklichkeit macht sie kleiner und weniger furchteinflößend. Wie in der Geschichte über die schrecklichen Riesen, die es sich im Schloss des einst so fröhlichen Königs bequem machen, dann aber durch Freude und Lachen immer weiter schrumpfen und am eine kleiner als Staubkörnchen sind, genauso verhält es sich mit den Geistern der Vergangenheit. Schweigen, Angst, Isolation lassen sie wachsen, lassen sie erstarken. Doch je mehr man sie zum Gegenstand von Konversation macht, je mehr man über sie herausfindet, desto kleiner und schwächer werden sie.
Doch ich sprach von zwei Waffen. Die zweite ist die vielleicht ungreifbarste und diejenige, die man am wenigsten verstehen kann - ich mag sie kaum benennen, denn das Wort, welches sie beschreibt, ist so banal und so platt, dass man kaum erkennen kann, welche Kraft dieser Waffe innewohnt. Die Waffe, die ich meine, ist die Liebe. Denn auch das ist es, was die Geister tun: Sie machen einen glauben, dass man es nicht Wert ist, geliebt zu werden. Dass mann der Liebe nicht würdig ist. Dass man sie nicht braucht, sie überflüssig ist, überbewertet wird. Man verlernt, Menschen zu lieben, sieht sie nur noch als seine Feinde, während der eigentliche Feind zum besten Freund wird. Deshalb wende ich mich nun genau dieser Waffe zu. Denn mit der Liebe kommt auch die Freude, das Lachen, das Leben zurück. Denn keiner kann leben, ohne zu lieben. Wer das behauptet, der lügt sich selbst etwas vor. Oder ist ein Psychopath, aber diesen Fall überlassen wir lieber den Psychologen und anderen Seelenklemptnern.
Es dauert seine Zeit, zu akzeptieren und sich daran zu freuen, geliebt zu werden, doch ich denke es lohnt sich. Ich bin noch lange nicht am Ende dieser Reise angelangt, der Reise zu meinem Ich, was auch immer das sein mag. Nach Freud ist das Ich derjenige Teil des Menschen, der zwischen dem Es, also den Instinkten, und dem Über-Ich, in Form des Gewissens, vermittelt. Es ist der Teil, der uns zum Menschen macht. Wir haben Instinkte, haben grundlegende Triebe, doch lassen wir uns nicht von ihnen steuern. Auch sind wir keine gefühlskalten Un-Menschen, die nur danach handeln, was für sie selbst das beste ist.
Doch ich denke, das Ich macht noch sehr viel mehr aus. Es ist unser innerer Antrieb, das, was und den Grund liefert, warum wir hier sind. Ob das stimmt, weiß ich nicht, das kann ich sagen, wenn ich es gefunden habe. Doch eins weiß ich: die Reise wird noch lange nicht zu Ende sein, und das ist ganz bestimmt noch nicht alles.
Nun, ich bin ein wenig abgescheift. Ich sprach vom Kämpfen. Davon, dass man sich überlegen sollte, ob es sich lohnt für etwas zu kämpfen. Nun, ich würde sagen, das was einen im Hier und Jetzt, in diesem Moment, vorantreibt, das, was einen einen Sinn im Leben sehen lässt, das, was Zukunft verspricht, dafür lohnt es sich immer zu kämpfen. Egal wie diese Zukunft aussehen mag, und egal worin dieser Sinn bestehen mag.
Darum: Kämpft! Kämpft um euer Leben!